In dialog with Markus Schäfer
Mitglied des Vorstands der Daimler AG und Mercedes-Benz AG,
verantwortlich für Konzernforschung und Mercedes-Benz Cars Entwicklung, Einkauf und Lieferantenqualität
Electric first!
Wenn wir eine neue Fahrzeug-Architektur entwickeln, konstruieren wir das Auto zuerst als rein elektrisches Fahrzeug.
Herr Schäfer, vom Öl zum Strom, von analog zu digital, vom menschgesteuerten zum selbstfahrenden Auto – die Autoindustrie steckt mitten in einer großen Umbruchphase. Wie wollen Sie diese bei Mercedes-Benz erfolgreich durchlaufen?
Ja, Sie haben völlig recht. Was wir heute erleben, gab es so noch nie. Aber für mich ist der Wandel Herausforderung und Chance zugleich, bei der ich auf ein weltweites Team von R&D-Experten vertraue. Unser Marktumfeld verändert sich komplett, sei es durch gesetzliche Regularien, heterogene Märkte und politische Rahmenbedingungen. Hinzu kommen die digitale Disruption mit einem enormen Anstieg an Computerleistung sowie neue Wettbewerber, die mit einer Vielzahl an Innovationen auf den Markt drängen. Nicht zu vergessen die Klimadebatte. Das alles beschreibt ein völlig neues Umfeld, in dem wir uns neu ausrichten und beweisen müssen. Wir treiben bei Daimler seit jeher die Transformation der Automobilindustrie voran und gestalten hier von der Spitze aus maßgeblich mit, da werden wir weiter dran bleiben und unser ganzes Herzblut reinstecken. Wir werden neue Entwicklungen nachhaltig und digital umsetzen und in gleichem Schritt die Elektrifizierung ausbauen. Am Ende gilt es, den Kunden und seine individuellen Bedürfnisse bei alledem nicht aus den Augen zu verlieren.
Was sind Ihre persönlichen Leitlinien, die Ihnen als Vorstandsmitglied zur Orientierung dienen?
Nennen Sie mich einen „Car Guy“ – oder anders ausgedrückt: Autos sind seit vielen Jahren meine große Leidenschaft und ein zentraler Teil meines Lebens. Ich sehe es nicht nur als eine bloße Aufgabe, sondern vielmehr als Verpflichtung, die Zukunft des Automobils und der Mobilität aktiv mitzugestalten. Dabei möchte ich mit maximaler Innovationskraft vorangehen. Ganz besonders leitet mich das Bekenntnis, dass in allem, was wir tun, der Mensch im Mittelpunkt steht. Auch bei Forschung und Entwicklung sind Kreativität und soziale Intelligenz der Menschen nicht einfach durch Maschinen und Computer ersetzbar. Neue Ideen und das Eingehen auf die sozialen Bedürfnisse, sowohl bei Kunden als auch Mitarbeitern, sind nicht wegzudenken, sie sind die Grundlage für die Differenzierung im Wettbewerb.
Sie stellen den Menschen in den Mittelpunkt, was sich nicht zuletzt auch in Ihrer neuen und offenen Bürowelt widerspiegelt …
In der Tat, ich bin ein großer Freund einer innovativen Büro- und Arbeitswelt, in der eine direkte und transparente Kommunikation über alle Hierarchieebenen und Funktionen hinweg erfolgen kann. Das gehört in meinem Bereich mit zu unserer „Kultur-Strategie“. Meine direkte Führungsmannschaft sitzt beispielsweise mit mir auf dem gleichen Stockwerk – das ermöglicht uns schnelle, gemeinsame Entscheidungen zu treffen. Wer bei uns über die Flure geht, findet offene Büros und transparente Besprechungszimmer unterschiedlicher Größe, die je nach Arbeitsaufgabe gewählt werden können. Mit Kaffee- und Teezonen, aber auch informellen Besprechungsecken wollen wir den Austausch über alle Abteilungen und Teams hinweg fördern.
Eine zentrale Frage bei der Gestaltung der Mobilität von morgen ist: Welches ist der Antrieb der Zukunft?
Diese Frage wird mir häufig gestellt und meine Antwort ist: Es gibt zumindest mittelfristig nicht den einen Antrieb der Zukunft, sondern verschiedene. Wir gestalten diesen Weg daher offen mit nachhaltigen Technologien. Nur so können wir flexibel auf die individuelle Nachfrage unserer Kunden und die Entwicklung der Märkte reagieren. Unsere Strategie dabei ist klar: Electric first! Wenn wir eine neue Fahrzeug-Architektur entwickeln, konstruieren wir das Auto zuerst als rein elektrisches Fahrzeug. Erst dann denken wir über eine Modifikation nach, zum Beispiel einen Plug-in-Hybrid-Antrieb. Mit anderen Worten: Die Idee hinter unserer zukünftigen Elektrofahrzeugarchitektur ist eine flexible Architektur, die einerseits unsere verschiedenen Baureihen abdeckt und andererseits erstmals konsequent auf einen rein elektrischen Antrieb aus-
gelegt ist. Unsere vollelektrischen Modelle des Mid- und Full-Size Luxussegments werden sich eine solche Technologie-Plattform teilen.
Wie machen Sie sich die eingangs schon erwähnte Digitalisierung bei der Entwicklung von neuen Fahrzeug-Architekturen zu Nutze?
Dies finde ich persönlich eine ganz spannende Sache. Wissen Sie, mit der Digitalisierung eröffnet sich uns ein ganzes Universum an Möglichkeiten, noch faszinierendere Produkte für den Kunden zu schaffen. Und genau das machen wir uns zu eigen, wir denken das Auto von innen nach außen – mit einem Software-orientierten Ansatz und Cloud-basierten Lösungen. Dabei arbeiten wir konsequent an der Weiterentwicklung von Features, die den Aufenthalt und die Interaktion mit unseren Autos für unsere Kunden noch angenehmer, komfortabler und sicherer machen werden. Denken Sie dabei an neue Services in MBUX, zum Beispiel Amazon Music, aber auch Car-2X-Kommunikation, Over the Air-Updates, Gaming-Features und automatisierte Fahrfunktionen. Unsere Kunden werden es lieben.
CO2-Reduktion ist ein wichtiger Aspekt und derzeit in aller Munde. Wie werden Sie damit umgehen?
Stimmt, jeder redet darüber. Auch wir sehen die CO2-Reduktion als eine unserer wichtigsten Aufgaben. Unser Ziel ist und bleibt die emissionsfreie Mobilität. Bis 2039 wollen wir eine komplett CO2 neutrale Pkw Neuwagenflotte anbieten. In den nächsten Jahren werden wir bereits zehn rein elektrische Modelle haben – von den Kompakten bis zur Luxusklasse. Wir werden nicht müde, parallel auch an anderen Lösungen zu arbeiten, zum Beispiel an der durchgängigen Elektrifizierung der Verbrennungsmotoren beginnend mit der 48-Volt-Technologie. Zudem könnten mit synthetischen Kraftstoffen, sogenannten „e-fuels“, Verbrennungsmotoren zukünftig ebenfalls quasi CO2 neutral betrieben werden. Auch hocheffiziente Hybridfahrzeuge sind ein wichtiger Bestandteil unserer Elektrifizierungsstrategie. Beinahe sämtliche tägliche Fahrten können damit rein elektrisch zurückgelegt werden, wenn der Kunde die Batterie dann auch zu Hause oder am Arbeitsplatz laden kann. Wir sind also überzeugt von dieser Technologie.
Unsere Kunden können sich in diesem Jahr auf mehr als 20 Plug-in-Hybrid-Modelle freuen: Kompakte, mittlere und große Limousinen und SUVs.
Welche Rolle spielt die Brennstoffzelle dabei?
Eine wichtige Rolle! Mit dem GLC F-CELL zeigen wir das große Potenzial dieser Technologie, deren Vorteile klar auf der Hand liegen: null Emissionen, hohe Reichweiten und kurze Betankungszeiten sowie ein breites Einsatzspektrum vom Pkw bis zu Bussen, anderen großen Nutzfahrzeugen oder auch für stationäre Anwendungen. Die Batterie ist der Brennstoffzelle aber derzeit überlegen – nicht zuletzt aufgrund der Kostensituation der Herstellung und auch des Aufbaus einer Tankstellen-Infrastruktur. Auch in Sachen Energiedichte hat die Batterietechnologie große Sprünge gemacht und damit den Reichweitenvorteil der Brennstoffzellen verringert. Die nächsten Jahre müssen wir uns fokussieren und das tun wir ganz klar in Richtung unserer batterie-elektrischen EQ-Modelle. Die Brennstoffzelle wird aber die batterie-elektrischen Antriebe als ein integraler Bestandteil unserer Antriebsstrategie ergänzen: 2022 bringen wir die Brennstoffzelle zur Verlängerung der Reichweite im Stadtbus in Serie, bei unseren Lkw perspektivisch bis Ende der 2020er-Jahre.
Und wie steht es um die Zukunft des Verbrenners?
Bis 2030 erwarten wir, dass wir mehr als 50 Prozent unserer Pkw-Verkäufe mindestens mit Plug-in-Hybriden und rein elektrischen Fahrzeugen erreichen könnten. Also läuft dann immer noch deutlich mehr als die Hälfte der produzierten Autos mit Verbrennungsmotor vom Band. Unsere aktuelle Motorengeneration „FAME“ – das steht für „Family of Modular Engines“ – rollen wir bereits seit Mitte 2016 konsequent und sukzessive in unserem gesamten Portfolio aus. Sie besteht aus innovativen Benzin- und Dieselmotoren, die wir nun nach und nach flächendeckend mit 48-V-Technologie elektrifizieren. Diese Motorengeneration befindet sich nach wie vor in der Einführungsphase und wir werden sie durch weitere, innovative und hocheffiziente Varianten wie geplant vervollständigen und behutsam pflegen.
Sie sind in Ihrer Funktion auch für den weltweiten Einkauf von Mercedes-Benz Cars verantwortlich. Welche Ziele verfolgen Sie mit Ihren Lieferanten auf dem Weg zur Klimaneutralität?
Völlig richtig, Dekarbonisierung spielt bei uns nicht nur bei der Produktpalette eine Rolle. Wir haben die CO2-Ziele auch zu einem wichtigen Kriterium bei Entscheidungen und Verträgen mit unseren Lieferanten und Partnern gemacht. Im letzten Jahr sind wir zum Beispiel eine Nachhaltigkeitspartnerschaft mit einem Batteriezellenlieferanten eingegangen, der bei der Produktion auf Strom aus regenerativen Energiequellen wie Wasserkraft, Wind- und Solarenergie setzt. Die Zusammenarbeit ermöglicht uns, schon für die nächste Fahrzeuggeneration unserer Technologiemarke EQ einen Teil der Batteriezellen zu 100 Prozent mit Strom aus erneuerbaren Energien zu produzieren. Für uns bedeutet das, wir sparen rund 30 Prozent am CO2-Fußabdruck der Gesamtbatterie künftiger EQ-Modelle ein.
Zum Jahresende kommt die neue S-Klasse auf den Markt. Was erwartet uns?
Da erwartet unsere Kunden traditionsgemäß viel Neues! Wir haben uns vorgenommen, mit der neuen Generation wieder die Spitze des Automobilbaus neu zu definieren. Und ohne arrogant rüberkommen zu wollen: Wir sind überzeugt, dass uns das auch gelingen wird. Deshalb wollen wir in der S-Klasse nicht nur zahlreiche brandneue Features anbieten, sondern auch beim autonomen Fahren den nächsten Schritt machen und bei den Behörden mit Level 3 antreten. Damit wird
die S-Klasse in der Lage sein, unter bestimmten Voraussetzungen längere Strecken auf der Autobahn komplett selbstständig zu fahren. Und: Die S-Klasse Familie wird natürlich auch zum späteren Zeitpunkt ein vollelektrisches Mitglied bekommen – den EQS.
Mit dem Showcar Vision EQS haben Sie bereits einen Ausblick auf Ihre zukünftigen Elektrofahrzeuge gegeben …
… richtig, der Vision EQS basiert auf unserer ersten, rein elektrischen Plattform. Das Konzeptfahrzeug zeigt eine voll-elektrische und voll-vernetzte Luxus-Limousine für die individuelle und exklusive Mobilität von morgen. Wir stellen damit die konsequente Umsetzung unserer Ambition 2039 im S-Klasse Segment unter Beweis. Auch in einer Zukunft, in der Umwelt- und Ressourcenschonung immer mehr an Bedeutung gewinnen, wünschen sich Luxus-Kunden eine Limousine, die ihren individuellen Bedürfnissen an Komfort, Design und Technologie gerecht wird. Mit einer ganz neuen Formsprache, dem gestreckten „one-bow“-Design, verweist der Vision EQS zudem schon auf alle weiteren künftigen Elektrofahrzeuge unserer EQ Familie. Sie sehen also, es ist unser Anspruch, dass sich Nachhaltigkeit und faszinierende individuelle Mobilität bei Mercedes-Benz nicht ausschließen, sondern ergänzen.