Digitalisierung und Big Data: Die neue Ära der Automobilindustrie
CEO, FERCHAU Automotive
Die Automobilindustrie steckt im Umbruch. Digitalisierung, Big Data, das vernetzte Fahrzeug und neue Antriebsformen bestimmen die Mobilität von morgen. Und auch schon die von heute. Insbesondere Entwicklungsdienstleister müssen sich neu aufstellen, um die Trends der Branche bedienen zu können. Auch Engineering-Dienstleister FERCHAU Automotive hat tiefgreifende Konsequenzen gezogen – zum Wohl der Kunden und einer nachhaltigen, von Software getriebenen Mobilität.
IT und Software sind entscheidende Schlagworte in der Automotive-Branche
Der Anteil an Elektronik in Automobilen steigt stetig, gerade auch durch die Elektromobilität. Dieser Trend prägt und verändert das Automotive-Geschäft signifikant. Und damit auch das Geschäft der Entwicklungsdienstleister. Unsere Kunden – Hersteller, Zulieferer, Start-up-Unternehmen – fragen immer mehr Leistungen bei uns an, die tief in den Themen IT, Software und somit besonders auch im Thema Elektronik verankert sind. Wir müssen uns als Entwicklungsdienstleister sehr stark an diesen neuen Bereichen des automobilen Transformationsprozesses ausrichten. Die fortschreitende Digitalisierung, Big Data, das vernetzte Fahrzeug, neue Antriebsformen, überhaupt alle neuen Funktionalitäten im Automobil lassen sich letztlich auf das Thema Elektronik zurückführen. Der Druck, der aus diesem Transformationsprozess entsteht, ist immens. Der Bedarf an Software-Architekturen, Microcontrollern oder Prozessoren ist riesig.
Dieser Transformationsprozess fordert innovative Veränderungen. Für die Branche, für jedes einzelne Unternehmen. Auch wir mussten uns von Grund auf neu aufstellen. Zum Start des Jahres 2022 sind das Unternehmen M Plan und der Geschäftsbereich Automotive von FERCHAU fusioniert. Entstanden ist FERCHAU Automotive, ein großer und besonders agiler IT- und Engineering-Dienstleister.
Für unsere Kunden bringt das nur Vorteile: Sie bekommen ein deutlich breiteres Portfolio an Leistungen in den entscheidenden, zukunftsorientierten Disziplinen. Dabei können sie sich auf das bewährte Know-how und auf unsere jahrelange Erfahrung verlassen. Die meisten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind ja nach wie vor an Bord, und ständig kommen neue Fachkräfte dazu. Ich selbst zum Beispiel war zuvor Geschäftsführer von M Plan, einem Schwesterunternehmen von FERCHAU, mein Kollege Christian Rudolph leitete den Geschäftsbereich Automotive von FERCHAU. Gemeinsam führen wir nun das neue Unternehmen.
Wenn ich ein Fazit ziehe nach dem ersten Jahr, dann dies: Unsere Kunden sind begeistert. Der Tenor bei vielen war zuvor: »Unsere Lastenhefte werden umfangreicher und immer vielseitiger. Wenn wir weiter zusammenarbeiten sollen, dann müsst ihr euch bei bestimmten Themen stärker und breiter aufstellen. Dann müsst ihr vermehrt die Rolle des GU, des Generalunternehmens, für uns einnehmen.« In entscheidenden Engineering-Disziplinen stehen wir heute deutlich präsenter da, gewinnen attraktive Ausschreibungen. »Big is beautiful« lautet ein gängiges Bonmot. Größe und Flexibilität sind heute entscheidend. Wir treten nun noch größer auf in einem wettbewerbsstarken Umfeld. Wir konzentrieren uns vermehrt auf Software-getriebene Projekte. Auf komplexe Elektrik- und Elektronikthemen.
Wir arbeiten in Branchen, die zunehmend von Big Data, von Cloud-Computing und überhaupt von digitalen Anwendungen dominiert werden.
Entwicklungsdienstleister wandeln sich zu Elektronikdienstleistern
Ein modernes Automobil ist heute im Prinzip ein IoT mit elektrischem Antrieb, ein vernetztes Device auf Rädern. Man spricht vom Software-defined Vehicle, vom Software-definierten Fahrzeug. Als Entwicklungsdienstleister ist es essenziell, die Hersteller und großen Zulieferer, aber auch neue Start-ups mit entsprechenden Kompetenzen und technologischer Tiefenschärfe zu unterstützen. Die Erhebung, Aufarbeitung und Analyse von Daten ist vermutlich das wichtigste Zukunftsfeld. Wir haben daher unsere Strategie neu ausgerichtet, mit vier neu gestalteten Kompetenz-Segmenten: Software, Elektrik / Elektronik, Produktentwicklung und Produktions-Engineering.
Daten sind dabei die neue Währung, auch in der Automobilindustrie. Wir arbeiten in Branchen, die zunehmend von Big Data, von Cloud-Computing und überhaupt von digitalen Anwendungen dominiert werden. Für Hersteller – und damit natürlich auch Entwicklungsdienstleister – rückt die Monetarisierung von Daten in den Mittelpunkt. Im Fahrzeug gehen
unaufhörlich Nullen und Einsen hin und her, fast alle Systeme sind IT-getrieben. Da müssen wir gar nicht über autonome Fahrzeuge sprechen. Auch die Wärmepumpe eines Thermomanagement-Systems im Elektroauto wird von einem Algorithmus gesteuert. Bei diesen Themen begleiten wir unsere Kunden künftig noch intensiver, in der Automotive-Branche ebenso wie im Bereich Business-IT.
Spezialisten für Over-the-Air-Updates
Ein gutes Beispiel sind Over-the-Air-Updates. Das moderne, vernetzte und Software-definierte Fahrzeug benötigt regelmäßige Updates und neue Software-Module. Diese müssen in aufwendigen Simulationen getestet werden, bevor sie in die Software-Architektur eines Fahrzeugs integriert werden. Das machen wir für einige der großen Hersteller. In unserem neuen Kompetenz-Cluster bedienen wir alle Facetten der Car-IT: Embedded Software, Cyber Security, Toolchain-Entwicklung bis hin zum Einsatz von Künstlicher Intelligenz. Das ist heute das klassische Automobilgeschäft.
Fast überall im Fahrzeug steuern Applikationen, Programme und Algorithmen wesentliche Funktionen. Wir entwickeln maßgeschneiderte Software-Pakete für die unterschiedlichsten Anwendungen: für die Gestaltung neuer Display-Oberflächen, für den Einsatz in Hightech-Türsystemen, im Rahmen neuer Antriebsformen wie der Elektromobilität. FERCHAU Automotive hat sich zum Beispiel auch spezialisiert beim Reifegradmanagement. Dabei geht es darum, vorhandene Software-Module ständig zu optimieren, zu erweitern und anzupassen. Wir sind Spezialisten für hochkomplexe Diagnose-Werkzeuge. Es geht grundsätzlich nicht mehr darum, einzelne Komponenten zuzuliefern. Wir verstehen uns heute als Systemhaus, als Elektrik- und Elektronikpartner der Automobilindustrie. 70 bis 80 Prozent unseres Gesamtumsatzes generieren wir mittlerweile im Elektronik-Bereich.
Das Bordnetz ist das zentrale Nervensystem des Fahrzeugs. Die Software ist so etwas wie die DNA.
Neue Disziplin: Fahrgeräusche für Elektroautos komponieren
Nahezu jede Disziplin im Fahrzeugbau ist heute dem Transformationsprozess, der Digitalisierung unterworfen. Wir entwerfen Fahrzeugkonzepte, wir entwickeln Bauteile, wir sind Experten für Sounddesign, für Thermomanagement, für Prototyping und Testing. Unsere Expertinnen und Experten komponieren Fahrgeräusche für Elektrofahrzeuge, gestalten innovative Display-Lösungen, konzipieren Software-getriebene Türsysteme … Man könnte diese Liste noch lang fortsetzen. Ein Beispiel möchte ich noch nennen: Energieprüfstände, Hochvoltprüfstände, die wir zum Beispiel im Münchner Umfeld haben. Das Prüfen von Energiespeichern ist ein wichtiges, ein wachsendes Geschäftsfeld in Zeiten, da die Hersteller immer mehr batterieelektrische Fahrzeugvarianten anbieten.
Überspitzt könnte man sagen: Wenn unser Geschäft gut läuft, heißt das auch: Die Automobilhersteller und großen Zulieferer schaffen es nicht allein. Auch das ist ein wichtiger Trend: Der Automobilbau wird heute als Projekt angesehen, bei dem wesentliche Dienstleistungen von außen kommen. Die Hersteller selbst konzentrieren sich mehr und mehr auf die Markenpflege. Die Zahl der Baureihen nimmt stetig zu. Viele Hersteller haben Elektro-, Hybrid- und klassische Verbrenner-Modelle im Portfolio. Um alle Herausforderungen zu bedienen, benötigen sie Unterstützung.
Bordnetz – das zentrale Nervensystem des Automobils
Die Komplexität elektronischer Systeme sortiert dabei den Produktentstehungsprozess neu, wenn viele Arbeitsschritte ausgelagert werden. Früher war der Motor das Herzstück des Autos, dessen Entwicklung der Hersteller zumeist im eigenen Haus in Eigenregie betreute. Das ist heute nicht mehr so. Hersteller kaufen sich Leistungen auch rund um die Entwicklung von Elektromotoren zu. Zudem wird das Thema Bordnetz immer wichtiger: Je komplexer die Elektronik, desto anspruchsvoller der Kabelbaum. Hier sind bei FERCHAU Automotive mittlerweile mehr als 70 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Einsatz. Wir haben uns bei der Berechnung und Entwicklung hochkomplexer Kabelbäume und Datenkommunikationssysteme eine Position erarbeitet, die ihresgleichen sucht. Dazu sind wir mit unserer Bordnetzmanufaktur, in der wir Leitungssätze für Kleinserien bauen, gerade in eine 600 Quadratmeter große Werkshalle umgezogen. Die Kolleginnen und Kollegen können sich vor Aufträgen kaum retten.
Das Bordnetz ist das zentrale Nervensystem des Fahrzeugs. Die Software ist so etwas wie die DNA. Es zeigt sich: Die Entwicklungstiefe wird größer. Wir sind Partner für die Entwicklung von Software-Architekturen, beim Bordnetz, bei vielen hochkomplexen Entwicklungen. Wir programmieren Steuergeräte. Je mehr elektronische Bauteile, desto mehr muss programmiert werden, desto mehr öffnet sich der OEM neuen Kooperationen. Wir erleben eine neue Ära des Dienstleistungsgeschäfts.