CHRISTOPH LANGEN
Cool Runnings
Treffpunkt St. Moritz, Piazza Gunter Sachs
Wenn schon Bobfahren, dann mit Tradition. Somit befinde ich mich in St. Moritz an der ältesten Bobbahn der Welt sowie der einzigen Natureisbahn und wandele auf den Spuren von Gunter Sachs, dem ewigen Playboy!
Die weltgrößte Schneeskulptur
Jedes Jahr im Herbst wird der Olympia Bobrun von Grund auf neu gebaut. Dafür kommen ein Dutzend Facharbeiter aus Südtirol, meistens schon über Jahrzehnte die gleichen erfahrenen Menschen, um jede Kurve einzumessen und aus 5.000 m³ Schnee und 4.000 m³ Wasser die ca. 1,7 km lange Bobbahn zu bauen. Die erste Testfahrt findet um den ersten Advent statt und im Frühjahr schmilzt das präzise Meisterwerk wieder und versickert im Boden.
Vom Profi- zum Amateursport
Vollgesogen mit Tradition und der Geschichte des Ortes treffe ich endlich Christoph Langen. Ihm werde ich zwei Tage lang folgen wie ein Schatten, um die Geheimnisse des Bobsports zu erfahren, im wörtlichen Sinne.
Der erfolgreiche Bobfahrer macht nicht viele Worte, sondern nimmt mich gleich mit zu seinem Team hier in St. Moritz. Er ist seit kurzem Trainer des Schweizer Bob-Nachwuchses. Ich stehe bald vor jungen Frauen und Männern, die akribisch ihr Gerät vorbereiten, konzentriert sind, aber auch Scherze machen und sich in der Gesellschaft von Christoph Langen sichtlich wohl fühlen.
Mut oder Material?
Nun ist es Zeit, den Geheimnissen des Bobsports näher zu kommen. Wie ich feststelle, ist Christoph Langen nicht nur begeistert, sondern auch akribisch. Ein Perfektionist, gerade was das Material angeht. Mir scheint es, dass die Möglichkeiten im Bereich des Bobs eher begrenzt sind. Die Technik im Bob ist ja überschaubar, im Gegensatz zum Formel-1-Wagen. Die Form und viele andere Details sind reglementiert, so dass man, wie in den engen Grenzen der Bobbahn, nur wenig Spielraum für eigenes Engagement und Veränderungen hat.
Näheres erklärt mir Langen während unserer x-ten Begehung der Strecke, diesmal bei Nacht. Wie wir aus dem Fernsehen wissen, ist der Start die entscheidende Phase des Rennens. Wie entscheidend, erzählt er mir am „Horse-Shoe“: „Wenn man beim Start ein Zehntel liegen lässt, sind es im Ziel schon zwei Zehntel Rückstand. Während der Fahrt kannst du nur Fehler machen, aber nichts reinholen.“
Was bleibt? Das Team.
Beim Devils Dyke Corner erfahre ich endlich, wie man vom Zehnkämpfer zum Bobfahrer wird. Man wird zuerst Anschieber. Da der Start so entscheidend ist, braucht man hier Manpower, die schnelle Beine und einen schnellen Antritt hat. Sprinter werden hier sehr gerne genommen. Die meisten Anschieber sprinten die 100 Meter unter 11 Sekunden. Beim Bobfahren haben sie aber nur 15 Meter, um den Bob mit ihren Kollegen auf Höchstgeschwindigkeit zu treiben. Danach ist Reinsetzen und Abtauchen angesagt.
„Next rider to the box, please“
Nun steht meine Bob-Challenge an: Wir haben die Bahn wirklich zu jeder möglichen Tages- und Nachtzeit begangen, jede Veränderung vermerkt. Ich mache mich also startklar. Langen schiebt mir noch kurz ein Formular hin. „Für die Versicherung …“, murmelt er. Da steht, man darf weder Lungenprobleme haben noch Nacken- oder Rückenprobleme. Ich unterschreibe. Nun wird mir erst recht flau.
Der Beginn fühlt sich noch etwas nach Wasserrutsche im Thermalbad an, doch gleich werde ich für solch ungebührliche Gedanken bestraft. Es reißt mich von rechts nach links, mein Kopf im Helm schlägt immer wieder gegen den Bob, ich versuche, ein wenig rauszusehen, aber bleibe dann doch besser unten. Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, die Kurven, die ich von der Begehung her nun auswendig kannte, zu zählen und auch zu sehen, doch alles geht so schnell und es drückt mich mit ungeheurer Wucht immer wieder in den Bob, es ist eng, man fühlt sich ausgeliefert … Gerade überlege ich noch, wie ich den nächsten Schlägen am besten entgehe – da bremst es abrupt ab, Schnee staubt, der Bob verlangsamt sich. Vorbei. Kleiner Applaus vom Fotografen. Das wars. 75 Sekunden für 1.722 Meter und 130 Höhenmeter.
… und im Fernsehen sieht das Ganze doch immer so unspektakulär aus! Lassen Sie sich nicht täuschen! Es ist eine Höllenfahrt und es gehört viel Mut dazu, sich hier mit Höchstgeschwindigkeit runterzuwagen, einerseits mit begrenzten Mitteln, um einzugreifen, andererseits kann ein kleiner Fahrfehler schon zum Überschlag führen.
Es ist spektakulär! Und eine große Herausforderung! Langen sagt zum Abschied: „Bei allem Engagement, bei allem Training, Können und gutem Material hat doch jeder Bobfahrer nur 1 Mal im Leben die Chance auf eine perfekte Fahrt!“ Nun steigt mein Respekt noch mehr!