In dialog with Hildegard Müller
Für die Mitglieder im VDA hat der schnelle Hochlauf der Elektromobilität bis 2030 klare Priorität. Bis Ende 2023 werden die Kunden aus mehr als 150 verschiedenen E-Modellen von deutschen Konzernmarken wählen können.
Die Neuzulassungen von Elektroautos wachsen stark. Hält der Aufbau der Ladesäulen mit dieser schnellen Entwicklung Schritt? Oder gerät der Hochlauf der Elek-tromobilität in Gefahr?
In der Tat öffnet sich die Schere zwischen E-Autos und Ladepunkten immer mehr. Allein im Oktober wurden in Deutschland 48.000 Elektro-Pkw neu zugelassen, damit hat sich das Volumen gegenüber dem Vorjahresmonat vervierfacht. Und im bis-herigen Jahresverlauf haben wir es mit einer Verdreifachung bei den E-Neuzulassungen zu tun – auf über 250.000 E-Autos in den ersten zehn Monaten. Der Umweltbonus und die Innovationsprämie wirken dabei natürlich positiv auf die Nachfrage. Und die deutschen Konzernmarken zeigen auch hier ihre Stärke: Ihr Marktanteil auf dem deutschen E-Markt liegt bei 70 Prozent.
Gleichzeitig bleibt die Ladeinfrastruktur aber leider deutlich hinter den Notwendigkeiten zurück: Pro Woche kommen 12.000 E-Autos auf die Straße – aber nur 200 neue Ladepunkte. Heute haben wir in Deutschland eine Ladesäule für 13 E-Autos, an Ostern 2021 werden es 20 E-Autos pro Ladesäule sein. Das muss sich rasch ändern, sonst gerät die Elek-tromobilität ins Stocken.
Vor Kurzem wurde heftig darüber diskutiert, welche Antriebsart am besten geeignet ist, um die Klimaziele zu erreichen. Ist der rein batterie-elektrische Antrieb der Königsweg?
Für die Mitglieder im VDA hat der schnelle Hochlauf der Elektromobilität bis 2030 klare Priorität, vor allem für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge. Bis Ende 2023 werden die Kunden aus mehr als 150 verschiedenen E-Modellen von deutschen Konzernmarken wählen können. Damit verdoppelt sich das Modellangebot.
Unsere Unternehmen investieren von 2021 bis 2025 150 Milliarden Euro in Zukunftstechnologien, davon 70 in E-Mobilität, 55 in die Digitalisierung und 25 Milliarden Euro in Hybridisierung. Das ist ein enormer Kraftakt!
Die deutsche Automobilindustrie setzt also ausschließlich auf die Elektromobilität?
Bis 2030 steht der Elektroantrieb (BEV und PHEV) klar im Vordergrund. Aber um das Ziel eines klimaneutralen Verkehrs 2050 zu erreichen, werden auch alternative Antriebe und Kraftstoffe wie Wasserstoff und E-Fuels Teil der Lösung sein. Diese Technolo-gien können einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz im Verkehr leisten, weil sie die CO2-Emissionen im Fahr-zeugbestand verringern und beim Ausstieg aus den fossilen Energien eine gute Ergänzung der Elektromo-bilität sind.
Die Menschen werden nur dann ein E-Auto kaufen, wenn es genügend Ladesäulen gibt – in Deutschland und Europa.
Und was heißt das konkret?
Alle Technologien werden gebraucht, um das Ziel „klimaneutrale Mobilität 2050“ zu erreichen. Darin sind wir uns im VDA einig. Wir setzen auf eine nachhaltige individuelle Mobilität. Klar ist aber auch, dass die Unternehmen untereinander im Wettbewerb stehen. Deshalb ist es verständlich, dass sie in der Umsetzung durchaus individuelle Strategien verfolgen und jeweils eigene Schwerpunkte setzen. Dieser Wettbewerbsgedanke hat den Standort Deutschland seit jeher ausgezeichnet, insbesondere die Automobilindustrie. Wir verfolgen alle Optionen, um das Pariser Klimaziel zu erreichen.
Manche fordern das Ende des Verbrenners bereits bis zum Jahr 2035. Ist es also bald vorbei mit Benziner und Diesel?
Nicht der Verbrennungsmotor ist das Problem, sondern der Kraftstoff.
Deshalb setzen wir auch auf E-Fuels und Wasserstoff. In Deutschland gibt es heute knapp 48 Millionen Pkw. Unser Ziel ist es, dass im Jahr 2030 davon etwa 10 Millionen Elektroautos sein werden. Das heißt aber auch: In zehn Jahren werden immer noch 30 bis 40 Millionen Autos mit Verbrennungsmotor unterwegs sein. Und wir sollten die Menschen ermutigen, ihre alten Autos gegen neue zu tauschen, das hilft dem Klima.
Sollen die Menschen also für das Klima auf das Auto verzichten?
Mit Verboten gewinnen wir keine Akzeptanz für das Umsteuern. Es gibt intelligentere Lösungen als Blechschilder. Wir müssen die Städte, Straßen und Autobahnen so smart und digital machen wie nur irgend möglich. Wir wollen autonomes Fahren und Sharing Modelle, wir wollen eine digitale Vernetzung und Steuerung des Verkehrs. Die Infrastruktur muss so intelligent werden wie unsere Handys und Autos. Das sind die Lösungen, die wirken werden.
Kann die Automobilindustrie diese großen Herausforderungen stemmen?
Unsere Mitglieder investieren bis 2025 rund 150 Milliarden Euro in E-Mobilität und Digitalisierung. Es zeichnet die deutsche Automobilindustrie aus, dass sie seit jeher mutig und engagiert jede Schwierigkeit gemeistert hat. Deshalb bin ich auch jetzt zuversichtlich: Wir nehmen diese Herausforderung aktiv an und investieren mit aller Kraft. Deutschland ist heute schon Europameister bei der Elektromobilität. Knapp jedes zweite Elektroauto, das derzeit in Europa neu zugelassen wird, trägt ein deutsches Konzernmarkenzeichen.
Wenn die EU-Kommission den Menschen das Auto mit Benzin und Diesel wegnehmen will, muss sie Alternativen bieten.
Reicht es denn, wenn die Industrie neue E-Modelle entwickelt und produziert?
Das Erreichen der Klimaziele hängt an Voraussetzungen, die unsere Industrie allein nicht schaffen kann. Dazu gehört etwa der schnelle Ausbau der erneuerbaren Energien und ihre Verfügbarkeit in allen Regionen. Ähnliches gilt für den Ausbau der Ladeinfrastruktur. Die Menschen werden nur dann ein E-Auto kaufen, wenn es genügend Ladesäulen gibt – in Deutschland und Europa.
Was muss getan werden?
Wir müssen erkennen: Das Ladeangebot ist zunehmend der Engpass. Und er wird umso kritischer, je mehr Elektrofahrzeuge auf die Straße kommen. Ich habe deshalb einen Ladesäulen-Gipfel vorgeschlagen und gefordert, mit allen Beteiligten, mit der Energiewirtschaft, der Wohnungswirtschaft, der Mineralölindustrie, mit den Flughäfen, Parkhaus- und Tankstellenbetreibern, natürlich auch mit Bund, Ländern und Kommunen. Wir brauchen hier eine gemeinschaftliche Anstrengung.
Das klingt gut, aber was heißt das konkret?
Jede Kommune muss jetzt einen Ausbauplan für Elektromobilität vorlegen, jeder Bürgermeister muss das ganz oben auf die Agenda setzen, jede Gemeindeversammlung den Ausbau der Ladesäuleninfrastruktur mit Schwung vorantreiben. Wir brauchen beschleunigte Planungsverfahren, Genehmigungen für E-Stationen an Tankstellen, den Ausbau von Ökostrom und eine Befreiung des Ladestroms von der EEG-Umlage, um nur einige Punkte zu benennen. All dies erfordert jetzt von allen Beteiligten konkretes Handeln. Die Verantwortung für den Erfolg liegt – was Deutschland betrifft – beim Bund, bei den Ländern und den Kommunen, und auch bei der Energiewirtschaft, der Wohnungswirtschaft, der Mineralölindustrie und anderen – wir nehmen uns davon natürlich nicht aus.
Werden alle Schwierigkeiten gelöst sein, wenn wir mehr Ladesäulen haben?
Wir brauchen auch qualitativ einen Sprung nach vorn. So können wir beispielsweise Milliarden Euro durch intelligente Ladesysteme sparen. Deshalb sollten für E-Kunden Anreize gesetzt werden, damit sich jeder „netzdienlich“ verhält. Die Steuerbarkeit von Ladesäulen ist daher ein wesentlicher Punkt. Für alle Beteiligten gilt: Wir benötigen entweder einen realen Business Case für die Ladepunkte oder staatliche Begleitung für den auch politisch gewollten Aufbau der Infrastruktur. Wir brauchen daher etwa auch die Möglichkeit für Stromtarife, die sicherstellen, dass das System intelligent Stromspitzen und Stromschwachperioden ausgleichen kann.
Von Deutschland nach Europa: Die EU-Kommission will mit dem European Green Deal die CO2-Vorgaben nachschärfen. Ist das der richtige Ansatz?
Wir stehen zu den Pariser Klimaschutzzielen und unterstützen das Ziel der EU, bis 2050 der erste klimaneutrale Kontinent zu werden. Aber: Der nun vorgelegte „2030 Climate Target Plan“ der Kommission wirft eine ganze Reihe kritischer Fragen auf. Er kann, gerade vor dem Hintergrund der Corona-Krise, zu schwerwiegenden wirtschaftlichen Belastungen führen und die Wettbewerbsfähigkeit Europas gefährden. Das treibt mich um.
Die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise werden in den aktuellen Plänen zudem nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt. Klimaschutz und moderne Industriepolitik müssen besser miteinander vernetzt werden.
Was stört Sie denn konkret am „2030 Climate Target Plan“?
Die EU-Kommission will die EU-weiten CO2-Emissionen bis 2030 nun um mindestens 55 Prozent senken – und die erst vor zwei Jahren verabschiedeten CO2-Flottengrenzwerte für Pkw bis 2030 von minus 37,5 Prozent auf minus 50 Prozent verschärfen. Das bedeutet einen Durchschnittsverbrauch von gut 2 Liter Kraftstoff auf 100 Kilometer. Dazu müsste der Anteil der Elektrofahrzeuge auf mindestens 60 Prozent der Neuwagen steigen. Bisher liegt aber noch nicht einmal eine Folgenabschätzung der aktuellen Flottengrenzwerte vor. Bevor wir also neue Ziele fordern, sollten wir erst einmal schauen, wie der aktuelle Stand der Umsetzung ist und welche Probleme es gegebenenfalls gibt.
Die ersten Pläne zur nächsten Euro-7-Norm liegen jetzt auf dem Tisch. Wie beurteilen Sie diese?
Mit ihren Plänen zur EU-7-Norm – die noch einmal massive Reduktionen bei den sowieso schon sehr geringen Schadstoffemissionen enthalten – will die EU-Kommission de facto durch die „Hintertür“ die modernsten neuen Benzin- und Dieselfahrzeuge ab 2025 verbieten. Wenn die EU-Kommission den Menschen das Auto mit Benzin und Diesel wegnehmen will, muss sie Alternativen bieten. Aber die E-Ladeinfrastruktur fehlt, überall in Europa.
Wer die allerneuesten Diesel- und Benzinautos verbieten will, muss zuerst ein ganz dichtes Ladenetz für E-Autos bereitstellen, und zwar an jeder Milchkanne in Deutschland und Europa. Davon ist die EU noch meilenweit entfernt, und Deutschland ebenso. Dem Schutz der Menschen und des Klimas dient dies nicht, da die Menschen ohne ausreichend neue Angebote einfach ihre bisherigen Autos mit viel schlechteren Werten weiterfahren werden.