In dialog with Wolfgang K. Eckelt + Top Company Guide
Was passiert, wenn »New Work« und Pandemie zusammentreffen? In seinem neuen Buch wirft Wolfgang K. Eckelt einen präzisen Blick auf die Bruchlinien unserer Erfolgskultur.
Herr Eckelt, Ihr neues Buch erscheint in Kürze. Sie präsentieren sich in Wollpullover am Meer statt im Maßanzug am Konferenztisch. Sie sprechen über New Work Playgrounds statt über High Performance? Was ist passiert?
Die Pandemie »hat die Matrix verändert« – um auf ein berühmtes Filmzitat zurückzugreifen. Über Dekaden schienen uns die Regeln, nach denen die Welt funktioniert, und der Rhythmus, in dem die Industrien pulsierten, alternativlos zu sein. Dann hat ein mikroskopisch kleines Virus diese gigantische Maschinerie gestoppt. Von heute auf morgen. Damit gerieten Brüche unters Brennglas, die schon vorher da waren, die nur niemand sehen wollte. Ich habe mir eine Auszeit am Meer genommen, um über all das nachzudenken. Das war die Basis für mein neues Buch.
Welche Brüche sind Ihnen besonders deutlich geworden?
Unter dem Eindruck der massiven Naturerfahrung an der Küste und vor dem Hintergrund der grassierenden Videokonferenz-Pandemie wurde für mich sichtbar, was sich hinter dem Glanz der Businesswelten verbirgt.
Was denn?
Viel Leere. Viel persönliches Elend. Dahinter viel Nichts.
Tatsächlich: Nichts?
Ich meine nicht die Wertschöpfung, die technischen Pionierleistungen, das Design – da steht Deutschland immer noch mit an der Spitze. Und da finden Sie sehr viel Substanz, beeindruckende Erfolge, wegweisende Entscheidungen. Aber wenn Sie das reine Geschäftsgebaren der High Performing Class anschauen … Wenn Sie sich klarmachen, wie viel Energie allein auf den Habitus, die gegenseitige Status-Bestätigung, die Show auf Konzernfluren verwendet wurde, dann war der Lockdown eine heilsame Erfahrung. Die Industrie brummt auch ohne Glam. Erfolg geht auch im Wollpulli, mit Baustellenpizza auf einer Bierbank. Ich habe in den vergangenen 24 Monaten so viel Baustellenpizza gegessen wie noch nie in meinem Leben. Ausgerechnet in diesem Setting habe ich weit über hundert Gespräche mit Topmanagern geführt, die spannender, die persönlicher, die tiefgehender waren als alles, was ich zuvor erlebt habe.
Baustellenpizza? Das müssen Sie erklären …
Ich meine das wörtlich: Baustelle plus Bierbank plus Pizza. Im Lockdown waren die üblichen Besprechungsräume nicht zugänglich. Gleichzeitig verlangen die Gespräche, die ich mit Topmanagern führe, ein außergewöhnlich hohes Maß an Diskretion, an Empathie, an Resonanz. Das funktioniert nicht über Videokonferenzen. Also blieb mir nichts anderes übrig, als auf ein offenes Setting mit optimalem Lüftungskonzept zurückzugreifen: Das war die Baustelle meines neuen Hauses in Stuttgart. In einer Zeit, in der Gewissheiten schwinden und neue Perspektiven gesucht werden müssen, ist ein unfertiger Ort die genau richtige Kulisse.
Wer kommt denn zu Ihnen?
Es sind Topmanager und Führungskräfte unterschiedlicher Branchen, die Rat und Orientierung suchen, um sich in der veränderten Arbeitswelt zurecht zu finden und um ihren Platz neu zu definieren. Offiziell würde man von Executive Coaching sprechen – denn C-Level-Manager suchen Dialog auf Augenhöhe und erwarten Klartext.
Über welche Themen haben Sie dort gesprochen?
Zunächst über die klassischen Themen: Führungsfragen, Karrierestrategien, Fragen rund um das Thema Personal Branding. Doch wenn Sie diese Themen in einem robusten Setting mit Baustaub unter den Füßen und Bierfässern im Hintergrund diskutierten, erleben Sie den Bruch quasi physisch. Da passt etwas nicht mehr zusammen. Und dann kommen die wirklichen Themen auf den Biertisch: die Einsamkeit im Homeoffice, die Zermürbung nach 16 Stunden Videokonferenz, die Langeweile angesichts der immer gleichen Managementthemen, längst verschüttete Ideen – und die Lust, etwas ganz anderes zu tun.
Worauf bezieht sich dieses »andere«? Geht es um neue Perspektiven im Job? Um den nächsten Karriereschritt?
Genau darum ging es oft nicht. Vielmehr ging es um eine tiefe Sehnsucht: Neu anfangen, solange die eigene Gesundheit mitspielt. Wieder Freude im Job erleben. Endlich Zeit zum Leben haben.
Und das war der Anstoß für Ihr neues Buch? Der Titel lässt vermuten, dass Sie wieder keinen Stein auf dem anderen lassen. Demontieren Sie mit RE!THINK unsere Vorstellung davon, was Arbeit und Erfolg eigentlich sind?
Tatsächlich gaben die Baustellengespräche den Impuls zu diesem Buch. Aber das ist noch nicht alles. Unmittelbar vor dem Pandemie-Schock und dem neuen Lockdown-Leben hatten viele Unternehmen sich gerade auf New-Work-Konzepte umgestellt. Viele haben ihre Büros umgebaut, die Formen der Zusammenarbeit verändert. Viele beriefen sich auf Frithjof Bergmann, den Gründer der New-Work-Bewegung, und wollten Mitarbeitende und Manager motivieren, das zu tun, was sie »wirklich, wirklich wollen«. Das ist ohnehin schon herausfordernd – und Anfang 2020 sind dann New-Work-Konzepte und Pandemiebedingungen frontal aufeinandergeprallt. Die New Work Playgrounds leerten sich, die Konzepte funktionierten nicht mehr wie geplant und mussten hinterfragt werden.
Wie geht es jetzt weiter in den Unternehmen? Was brauchen die Companies, um Teams und Führungskräfte wieder zu begeistern?
Genau diese Frage ist jetzt entscheidend. Wir erleben in den USA bereits eine riesige Kündigungswelle. Wenn Unternehmen eine »Great Resignation« hierzulande verhindern wollen, müssen sie jetzt aktiv werden. Sie müssen über alles neu nachdenken. Das ist das Thema meines Buchs: RE!THINK.
Wolfgang K. Eckelt mit »Feel Good Companion« Oskar beim Strandspaziergang.
Was genau sollte jetzt auf den Prüfstand kommen?
In meinem Buch bohre ich das Konzept »New Work« auf. Ich zeige die Paradoxien der High Performance. Ich sage, warum wir den Faktor »Zeit« neu justieren müssen. Ich plädiere für völlig neue Experimente in den Büros, zwischen den Büros, in den Homeoffices. Und ich frage, ob der »alte, weiße Mann« in Zukunft überhaupt noch in Bewerbungsverfahren erfolgreich sein kann. Diversität zahlt sich für Unternehmen zwar aus, das zeigen Studien. Für Senior High Performer heißen Diversity-Konzepte aber häufig: Er ist ein Star – holt ihn da raus …
Wie unterstützen Sie High Performer an dieser Stelle?
Ich denke gemeinsam mit ihnen um. Wenn die Karriere weiterlaufen soll, geht es oft um neue Strategien der Selbstvermarktung: Stichwort »Unicorn Branding«. Warum das so ist, liegt auf der Hand: In einer Welt, in der eine Konferenz der nächsten gleicht, sind Typen gefragt, die man nicht so schnell vergisst. Wenn die Karriere anders weiterlaufen soll, geht es um neue Perspektiven: in benachbarten Branchen, in der Wissenschaft, als Gründer, Investor, Unternehmer. Stichwort »Second Career«. Wenn das Leben radikal umgedacht werden soll, geht es um einen kompletten Neustart: Raus aus dem High-Performance-Hamsterrad.
Rein in den Wollpulli?
Wenn Sie es so nennen wollen, ja. Wer einen so radikalen Schnitt setzt, der stellt nicht weniger als die bürgerliche Kulturgeschichte in Frage. Für den modernen Bürger ist – ganz im Sinne des Reformators Calvin – die Arbeit ein Lebenselixier. Wer nicht arbeitet, der rückt an den Rand der Gesellschaft. Die klassischen Philosophen sahen das ganz anders: Arbeit galt ihnen als sklavisch. Schöpferisch tätig konnte nur der sein, der die Freiheit hatte, eben nicht zu arbeiten. Ich meine: Wir müssen weg von der Calvin’schen Verbohrtheit, weg vom Pseudoglück am höhenverstellbaren Schreibtisch, weg von den tagesfüllenden Videocalls – und im Sinne der Klassiker zurück ins Leben.
Ist es das, was Sie persönlich »wirklich, wirklich wollen«?
Meine Arbeit ist meine Leidenschaft – insofern schränkt sie meine Lebensqualität nicht ein, sondern befördert sie. Was ich in meiner Auszeit auch überdacht habe, ist der brutale Konformitätsdruck der Industrie. Und siehe da: Jenseits der Konformität öffnen sich neue Horizonte. Unerschlossene Dimensionen der eigenen Persönlichkeit, neue Dimensionen der Freiheit … Das ist es, was meine Gesprächspartner suchen – und gerade in diesen bewegten Zeiten auch finden können.