MATTHIAS DOLDERER
Unlimited
Red Bull Air Race Champion, Kunstflieger. »Top Gun« der Lüfte.
Im Fernsehen sieht der Kunstflug immer so faszinierend einfach aus, spektakulär, aber elegant. Das wollte ich am eigenen Leib erfahren. Und wenn ich mich in eine neue Dimension begebe, dann nur mit einem High Performer, wie ich es auch bin. Also suchte ich mir den Red Bull Air Race World Champion 2016 aus: Matthias Dolderer.
Red Bull schlug mit dem Air Race Championat ein neues Kapitel im Kunstflug auf: Hauptsache unendlich spektakulär. Und ich frage mich: Ist das modernes Heldentum? Denn was macht einen Helden aus?
Er vollbringt außergewöhnliche Taten, beweist dabei sehr viel Mut und besitzt meist besondere Fähigkeiten, ist schnell, schlau, stark oder alles zusammen. Und sieht dazu noch gut aus. Passt.
Flying hero?
Matthias Dolderer lacht sympathisch. Nein, als Held verstehe er sich nicht. Beim Air Race ist alles sehr genau kalkuliert, geplant und kontrolliert. Auch wenn beispielsweise der Start in Budapest unter der Kettenbrücke hindurch schon einzigartig ist. „Eng, schnell und kompliziert. Du hast idealerweise sieben Meter bis zur Brücke und 2,5 Meter zur Wasseroberfläche. Und das bei 370 km/h.“ Wie bitte?
Todesgefahr? „Ich fühle mich in meinem Flugzeug so sicher wie in meinem Wohnzimmer.“ Aber natürlich gibt es immer wieder Unfälle in diesem extremen Sport. Wir wechseln das Thema.
Take off
Den ärztlichen Check habe ich hinter mir und mir ist flau. Den ganzen Tag schon. Es gibt solche Tage, da ist etwas anders und der Magen streikt. Kein guter Tag, um seine körperlichen Grenzen auszutesten. Ob ich nicht besser so eine kleine praktische Tüte mit an Bord nehme? Aber Dolderer winkt ab. Das klappt schon.
Natürlich fliegen wir nicht in der Weltmeister Air-Race-Maschine, das ist ja ein Einsitzer. So habe ich hier die Ehre, vorne zu sitzen und erlebe unseren Flug aus der ersten Reihe, ungefiltert.
Up in the air
Der Gurt sitzt eng, sehr eng, doch das muss so sein, wegen der g-Kräfte. Und wir brauchen keinen Helm, nur das Headset zur Kommunikation. Die Glaskuppel wird zugeschoben, ein Gefühl der Enge entsteht, es wird warm. Dolderer fragt mich, ob ich bereit zum Start sei. Was soll man da sagen…
Das Flugzeug startet, es drückt mich noch sanft in den Sitz und ich genieße das erhabene Gefühl, den festen Boden zu verlassen und mich wie der Adler in die Luft zu begeben. Es hat schon eine gewisse Großartigkeit, so elegant im Flug die Erde zu verlassen und sich über das Alltägliche zu erheben.
Doch da wir ein paar PS mehr unter der Haube haben als der Adler, wird es gleich nichts mehr mit dem ruhigen Blick auf die Landschaft. Dolderer lässt ein wenig die Muskeln spielen und wir beginnen mit kleineren Kurven und Schleifen. Noch kann ich mich gut halten, das ist ungefähr Achterbahn-Niveau und ich erinnere mich an die halsbrecherischen Roller Coaster in Amerika während meines Studiums. Da war ich ja eigentlich gut im Training. Doch ich erinnere mich auch, dass damals die Loopings, wenn man drinsaß, nicht so spektakulär waren, wie es von außen aussah. Eher das schnelle Hinunterstürzen in den Abgrund hatte es in sich. Oder die abrupten Richtungswechsel.
Greetings to St. Moritz
Es wird immer, ich muss es so sagen: brutaler. Man macht sich keine Vorstellung. Wir schrauben uns in den Himmel – elegant muss das aussehen von unten – doch bei mir fühlt es sich an wie in der Zentrifuge. Dieses Gefühl kenne ich bereits. Es war auch damals alles andere als angenehm, damals im Zweierbob mit Christoph Langen auf der Natureisbahn in St. Moritz. Auch da wurde man hart und brutal von einer Seite auf die andere geworfen und verlor die Orientierung.
Auch heute bringt mir mein Platz in der ersten Reihe nichts mehr. Ich weiß nicht mehr, ob wir nach oben oder unten fliegen, nach links oder rechts. Die g-Kräfte halten Wort und beuteln mich, wie wenn man ein Staubtuch ausschüttelt. Und ich bin das Tuch.
Dabei bin ich ja in meinem Sitz extrem festgegurtet, doch das hat zur Folge, dass auf den Kopf extreme Kräfte wirken. Man kennt ja die Cockpit-Cam-Bilder bei den Red Bull Air-Race-Berichten. Da wirken die Piloten eigentlich wenig angespannt und kaum mal verzerrt von der g-Force. Nicht so bei mir: Ich werde zerdrückt von den Fliehkräften und befürchte, nach diesem Tag auszusehen wie mein eigener Großvater…
Rock ’n’ Roll
Besonders extrem: Mit über 300 km/h wechselt Dolderer die Waagerechte gegen die Senkrechte – innerhalb eines Wimpernschlags.
Ich dachte, ich hätte beim Klettern auf den Drei Zinnen schon alles erlebt, was mir körperlich zusetzen kann, oder beim Motorradfahren rund um die Hügel Bolognas mit 300 km/h auf der Ducati. Aber jetzt erlebe ich, welche enormen Kräfte beim Fliegen wirken können. Und wie enorm schnell und wendig dieses kleine Flugzeug ist. Das ist Neuland. Das Blau des Himmels zerrinnt vor mir. Meine persönliche Grenze ist nun erreicht. Und überschritten.
Nun ist mein Bedarf an Heldentaten bis zum Anschlag gedeckt. Ich verfolge die letzten Minuten unseres Fluges in Schockstarre und bin heilfroh, nachdem ich aus meinem Gurt herausgeschält wurde und nach einem zitternden Abgang, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Teufelskerl Dolderer springt natürlich lässig aus dem Cockpit, klopft mir auf die Schulter und fragt mich, ob alles okay ist. Ich schleiche hinter ihm her zu einer kleinen Kaffeebar in seiner Flugschule.
Born to fly
Da ich noch ein wenig schweigsam bin, erzählt Matthias Dolderer gut gelaunt von seiner Begeisterung für die Fliegerei. Eine heroische Aura wird spürbar. Er ist ja hier in Tannheim (Landkreis Biberach) am Sportflugplatz seines Vaters aufgewachsen und hatte von Anfang an das Flieger-Gen in sich.
Es ist für mich immer wieder erstaunlich, wie weit es solche Persönlichkeiten bringen können, die von Anfang an und kompromisslos ihren Weg gehen.
Bei Matthias Dolderer hat von Anfang an alles gepasst: Er ist mit fünf Jahren bereits das erste Mal in einem Flugzeug mitgeflogen, natürlich mit seinem Vater, und im Alter von 14 Jahren war er das erste Mal alleine im Segelflieger unterwegs. Dann reizte es ihn, das erhebende Gefühl der Leichtigkeit über den Dingen zu verbinden mit der besonderen Ästhetik des Kunstfliegens.
Air Race extreme
Nach den guten Grundlagen ist Dolderer mit 20 Jahren bereits Deutscher Meister im Ultraleichtflug. Und setzt sich neue Ziele: In 2008 schafft er den deutschen Meistertitel im Kunstfliegen, ein Jahr später wird er Weltmeister. Spätestens jetzt ist er ein internationaler Fliegerstar. Und erhält die Einladung zum Red Bull Air Race, wo sich die besten Flieger der Welt in einem exklusiven Kreis beim extremsten Championat bisher messen. Das Red Bull Air Race katapultiert extremen Motorsport in die dritte Dimension. Daher werden einige Wettkämpfe auch an legendären Rennstrecken abgehalten wie beispielsweise in Indianapolis (USA), Lausitzring oder Zeltweg. Und Matthias Dolderer schafft das Einzigartige. Zusammen mit seinem Team hat er jede Schraube hinterfragt und jeden Ablauf verbessert. Dazu gelang es ihm, sich über die gesamte Saison 2016 extrem gut zu zu fokussieren und mit Energie und Präzision Spitzenplatzierungen zu erfliegen. So war er der erste Red-Bull-Pilot, der sich seinen Weltmeistertitel bereits vor Ende der Saison gesichert hatte, und der erste Deutsche, der Red Bull Air Race World Champion wurde. „Ein unfassbarer und wahnsinniger Moment.“
Go hard or go home?
Fasziniert von der Ruhe und Begeisterung meines Gesprächspartners stelle ich mir doch nochmal die Frage nach dem Heldentum. Das Red Bull Air Race ist nun mal die höchste Weihe eines Kunstfliegers und ebenso mit extremen Risiken verbunden. Daher nennt Dolderer das Air Race auch „die Formel 1 der Lüfte“.
Ich frage mich, ist es nun extreme Waghalsigkeit sich in diesem auf das höchste Risiko ausgelegten Spektakel zu messen? Wird nicht, um den Zuschauer in seiner Sofaecke zu begeistern, zu viel verlangt?
Auf dem Helm von Mattias Ekström, der ebenfalls in einem gefährlichen Sport zuhause ist, steht: „Go hard or go home!“ Ist es nicht anders möglich, Weltmeister zu werden?
Dolderer blickt kurz vor sich auf sein Wasserglas. „Naja, relativ gesehen ist der Sport recht sicher. Wir haben ein umfangreiches Sicherheitskonzept, das die Piloten schützt. Konzentration und Präzision sind wichtig. Es ist ja ein wenig wie Billard, nur eben mit knapp 400 km/h. Aber der Veranstalter und wir tun alles, damit nichts passiert.“
Neben den exakten Berechnungen des Teams und den hervorragenden Technikern sind beim Piloten Erfahrung und Fingerspitzengefühl entscheidend. „Jeder Pilot hat mehrere tausend Flugstunden hinter sich und weiß genau, was er tut. Denn langsam und vorsichtig fliegen geht beim Red Bull Air Race einfach nicht. Dafür macht es ja auch viel zu viel Spaß!“ Da blitzt in seinen Augen die Begeisterung des kleinen Jungen auf, der mit viel Heldenmut die Lüfte erobern will.
Und so zieht Matthias Dolderer auch diese Saison wieder mit dem Zirkus der Lüfte rund um den Globus, an mehr als 150 Tagen im Jahr, für höchste Präzision und Ästhetik. Wir wünschen viel Erfolg!
> 335 Tage im Cockpit (bis dato)
> 25.000 Starts/Landungen
> 2 Deutsche Meisterschaftstitel
> 1 Weltmeistertitel
> Deutscher Meister Ultraleicht 1991
> Deutscher Meister Unlimited Kunstflug 2008
> Weltmeister Red Bull Air Race 2016